Mangelernährung im Alter
Mangelernährung ist im Alter keine Seltenheit. Sogar in europäischen Heimen, wo eine regelmäßige Versorgung mit Nahrung sichergestellt sein sollte, wird eine Mangelversorgung bei 14 bis 71 % der Bewohner beobachtet.
Ursachen
Grundsätzlich können Mangelerscheinungen auf drei Wegen entstehen:
- verringerte Zufuhr mit der Nahrung,
- verringerte Aufnahme im Körper oder
- erhöhter Bedarf/Verbrauch.
Ältere Menschen benötigen weniger Energie und müssen folglich weniger Nahrung zu sich nehmen als Jüngere. Alterungsprozesse und Krankheiten beeinflussen die Aufnahme und den Bedarf an Vitaminen und Mineralstoffen merklich.
Mangelerscheinungen
- Eisen
- Magnesium
Verringerte Aufnahme
- Calcium
- Vitamin B6
Verringerte Synthese
- Vitamin D
Zu geringe Aufnahme
- Jod
Gestörte Aufnahme
- Vitamin B12
Erhöhter Bedarf
- Vitamin C
Eisenmangel
Eisenmangel gehört zu den häufigsten Mangelerscheinungen und betrifft nicht nur Menschen im fortgeschrittenen Lebensalter, sondern tritt in allen Altersgruppen auf. Dennoch gibt es einige Faktoren, die mit zunehmendem Alter das Risiko für einen Eisenmangel erhöhen: Neben nicht ausreichender Zufuhr von Eisen können auch Funktionsstörungen von Magen und Darm eine verminderte Eisenaufnahme zur Folge haben. Magenoperationen können solche Funktionsstörungen auslösen. Weiterhin leiden ältere Menschen häufiger an chronischen Schmerzen, die sie oftmals mit NSAR (nicht-steroidale Antirheumatika wie Ibuprofen) behandeln. Diese Medikamente schädigen auf Dauer die Magenschleimhaut und können Ulcera sowie Blutungen verursachen. Im Rahmen chronischen Blutungen geht Eisen verloren. Ähnlich ist es im Verlauf chronischer Erkrankungen (Krebs, Tuberkulose, HIV), bei denen häufig eine Eisenmangelanämie beobachtet werden kann.
Das Problem ist, dass die Aufnahme von Eisen im Darm nur geringfügig gesteigert werden kann. Ein gesteigerter Verlust kann ab einem gewissen Schweregrad nicht kompensiert werden.
Um einen Eisenmangel nachzuweisen, wird Serum-Ferritin bestimmt. Zu beachten ist, dass der Ferritin-Wert im Rahmen von Entzündungen ansteigt (Akute-Phase-Protein) und somit einen Mangel kaschieren kann. Von einer Eisenmangelanämie spricht man bei Frauen ab einer Hämoglobin-Konzentration (Hb) unter 12 g/dl, bei Männern unter 13 g/dl.
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Magnesiummangel
Magnesium wird durch häufiges Wasserlassen und den Missbrauch von Abführmitteln erniedrigt. Bei älteren Menschen tritt er oftmals in Folge einer Fehlernährung auf. Ein Artikel in dem Journal Oncotarget von Rémond et al., erschienen im Mai 2015, verweist auf die Notwendigkeit, den Magen-Darm-Trakt älterer Menschen näher zu untersuchen, um die altersbedingten Veränderungen zu verstehen.
Wenn Magnesium substituiert wird, sollten die Werte regelmäßig von einem Arzt überprüft werden, da nicht nur ein Magnesiummangel, sondern auch eine Überversorgung gefährliche Folgen haben kann. In beiden Fällen sind EKG-Veränderungen möglich. Erste Zeichen eines Mangels können Muskelkrämpfe, Zeichen einer Überversorgung eine Muskelschwäche sein.
Magnesium ist ein direkter Gegenspieler des Calciums. Entsprechend kann eine lebensgefährliche Überversorgung mit Magnesium durch intravenöse Gabe von Calcium behandelt werden.
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Calciummangel
Der Anteil des mit der Nahrung aufgenommenen Calciums beträgt schon beim jungen, gesunden Menschen nur etwa ein Drittel. Die Resorption ist abhängig von Parathormon, Vitamin D (Calcitriol) und Calcitonin. Parathormon und Calcitonin sind Hormone der Nebenschilddrüsen. Während Calcitonin die Resorption von Calcium senkt, wird sie durch Vitamin D und Parathormon gesteigert. Im wissenschaftlichen Aufsatz "Ist Deutschland ein Vitamin-Mangelland?" von S.-D. Müller, erschienen im Jahr 2013, wird darauf hingewiesen, dass nach Angabe der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) e.V. etwa 60 Prozent der Bevölkerung mit Vitamin D unterversorgt sind. Aufgrund verminderter Aktivitäten im Freien, beispielsweise aufgrund von Immobilisation oder Bettlägerigkeit, sind ältere Menschen häufiger betroffen. Ein Mangel an Vitamin D kann über eine erniedrigte Resorption von Calcium zu einem Calciummangel führen.
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Vitamin B6-Mangel
Vitamin B6 (Pyridoxin) ist in vielen Lebensmitteln natürlicherweise enthalten oder wird künstlich hinzugefügt. Darum ist ein Mangel selten. Die Prävalenz des Vitamin B6 Mangels bei älteren Menschen wird mit stark schwankenden Werten beziffert. Angaben reichen von unter einem bis hin zu 75 %. Ursachen sind neben der verringerten Aufnahme von Vitamin B6 über die Nahrung Veränderungen von Umbauprozessen (insbesondere Phosphorylierungen) und die Tatsache, dass alte Menschen oftmals weniger essen als jüngere, weil sie weniger Energie verbrauchen. Eine Studie im BioMed Central Geriatrics von Kjeldby et al. (2013) empfiehlt die Gabe von Vitamin B6 Supplementen bei allen Heimbewohnern.
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Vitamin D-Mangel
Vitamin D kann vom Körper selbst hergestellt werden. Es braucht dazu Sonnenlicht und funktionsfähige Nieren. Im Alter nimmt die Nierenfunktion natürlicherweise ab. Schätzungsweise sind bis zu einem Viertel der über 60-Jährigen von einer chronischen Niereninsuffizienz (Nierenschwäche) betroffen. Je nach Ausmaß der Insuffizienz sind Folgeerkrankungen zu beobachten.
Einen Hinweis auf einen Vitamin D Mangel kann die Knochendichte geben. Kommt es durch leichte Verletzung oder Aktivitäten zu Knochenbrüchen, ist eine Osteoporose, häufig bedingt durch Mangel an Vitamin D, wahrscheinlich. Beispielsweise kann ein Sturz auf den Boden durch Stolpern bei Osteoporose bereits zu einem Oberschenkelhalsbruch führen. Typische Brüche bei Osteoporose sind neben dem Oberschenkelhalsbruch Brüche der Wirbelkörper, des Oberarmknochens und der Speiche.
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Jod-Mangel
Früher war Deutschland ein Jodmangelland. Das in Bayern traditionelle Kropfband entstand aufgrund dieses Mangels: Jodmangel führt zu einer Vergrößerung der Schilddrüse. Diese kosmetisch unerwünschte Vergrößerung sollte mit einem Kropfband kaschiert werden. Seitdem Jod dem Speisesalz hinzugefügt ist, ist ein Jodmangel in Deutschland selten geworden. Ältere Menschen, die noch Salz ohne Jod-Zugabe verwenden, sollten auf den Nutzen des jodierten Speisesalzes hingewiesen werden, um einem Mangel vorzubeugen!
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Vitamin B12-Mangel
Vitamin B12 Mangel äußert sich in Nervenschäden und einer hyperchromen (viel Eisen enthaltende), makrozytären (großzelligen) Anämie. Ein Mangel an Vitamin B12 ist häufig mit veganer Ernährung assoziiert. Im Alter spielen andere Faktoren eine wichtigere Rolle: Obwohl Vitamin B12 in vielen Lebensmitteln enthalten ist, kann es zu einem Mangel kommen, wenn der notwendige "Co-Faktor", der sogenannte Intrinsic-Faktor, zur Vitamin B12 Resorption nicht in ausreichender Menge vorliegt. Dies ist beispielsweise nach Magen-Entfernung und -Resektion der Fall, da die Belegzellen der Magenschleimhaut den Intrinsic-Faktor produzieren. Die Aufnahme von Vitamin B12 im Komplex mit dem Intrinsic-Faktor erfolgt am Ende des Dünndarms (terminales Ileum). Wenn dieser Bereich entzündlich oder durch Alterungsprozesse verändert ist oder operativ entfernt wurde (zum Beispiel im Rahmen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung wie Morbus Crohn), ist die Resorption von Vitamin B12 gestört. Die körpereigenen Speicher reichen für ein bis zwei Jahre; sind diese aufgebraucht, treten Mangelerscheinungen auf.
Weitere Informationen zum Vitamin-B12 Mangel
Vitamin C-Mangel
Im Alter nimmt die Leistung des Immunsystems ab und macht ältere Menschen anfälliger für Krankheiten. So erkranken Ältere häufiger an einer Erkältung und diese dauert länger an. Eine Review von Hemilä und Chalker, die in The Cochrane Library 2013 erschienen ist , hat untersucht, ob Vitamin C Supplementierung zur Vorbeugung von Erkältungen geeignet ist. Zwar bestätigte sich in diesem Sinne keine Wirkung, dafür waren aber Schwere und Dauer der Erkältung signifikant geringer, wenn Vitamin C zugeführt wurde. Vitamin C Präparate sind nicht teuer und überschüssiges Vitamin C wird mit dem Urin ausgeschieden. Darum kann die Einnahme solcher Präparate empfohlen werden, sofern der Betroffene davon profitiert.
Weitere Informationen zum Vitamin-C Mangel
Wo sich Supplemente lohnen
In manchen Fällen ist es sinnvoll, Mineralstoffe und Vitamine über Nahrungsergänzungsmittel zuzuführen. Dennoch sollte prinzipiell angestrebt werden, alle Nährstoffe über die Nahrung aufzunehmen, da immer noch zur Debatte steht, ob Nahrungsergänzungsmittel regelrecht verwertet werden können.
Zuviel des Guten
Manche Nahrungsergänzungsmittel kosten nicht nur viel Geld, sondern sind auch gefährlich. Auch wenn Hypervitaminosen seltener sind als Vitamin-Mangelerscheinungen, lohnt es sich, nicht blind Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen.
Vorsicht vor beta-Carotin!
Aus beta-Carotinen kann der menschliche Körper Vitamin A produzieren. Vitamin A ist wichtig zur Erhaltung der Sehkraft. Da es sich bei Vitamin A aber um ein fettlösliches Vitamin, das nicht mit dem Urin ausgeschieden werden kann, handelt, ist eine Überversorgung möglich. Eine übermäßige Einnahme von beta-Carotin erhöht das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, um drei Prozent. Insbesondere trifft dies auf Raucher und ehemalige Raucher zu.
Häufig überschrittene Referenzwerte: Vitamin B1, B2 und B6
Aus Sorge, eine Mangelerscheinung zu entwickeln, werden häufig B-Vitamine als "Vitamin-B-Komplex"-Präparate eingenommen. Obwohl eine Überdosierung weniger problematisch als ein Mangel ist, da die wasserlöslichen B-Vitamine bei Überfluss bis zu einem gewissen Grad mit dem Urin ausgeschieden werden können, ist die Einnahme solcher Nahrungsergänzungsmittel meistens unnötig und kostet Geld.
Empfohlene Höchstmengen überschritten: Magnesium und Vitamin E
Eine Hypermagnesiämie (zu hoher Magnesiumwert im Blut) verläuft meistens ohne Symptome, kann aber nicht nur zu Muskelschwäche, sondern auch zu Veränderungen der Herzerregung führen. Die Herzerregung kann im EKG (Elektrokardiogramm) dargestellt werden. Durch hohe Magnesiumwerte steigt die Überleitungszeit der Erregung von den Vorhöfen auf die Kammern (PQ-Zeit) über den AV-Knoten an. Ab einer Dauer von über 0,2 Sekunden spricht man von einem AV-Block (Atrioventrikulärer Block). Weiterhin ist das Auftreten erhöhter Schläfrigkeit bis hin zum Koma möglich.
Die Hypervitaminose E steht im Verdacht, Krebs erregend zu sein.
Gibt es Hypervitaminosen wasserlöslicher Vitamine?
Lange galt die Meinung, dass wasserlösliche Vitamine (beispielsweise B-Vitamine, Vitamin C, Vitamin H) nicht überdosiert werden können. Im International Journal of Biomedical Research erschien 2015 eine Studie von Elango et al., die belegt, dass wasserlösliche Vitamine überdosiert werden können. Um die Auswirkungen dieser Hypervitaminosen genau zu erfassen, bedarf es weiterer Forschung.
Wie kann ein Mangel rechtzeitig bemerkt werden?
- Haarausfall: Eisen
- Müdigkeit: Vitamin B-Komplex, Eisen
- Infektanfälligkeit: Vitamin C, Vitamin B6
- Blässe, Blutarmut: Eisen, Vitamin B6, Vitamin B12, Folsäure (Vitamin B9)
- Dermatitis (entzündliche Hautreaktionen), Glottitis (Enzündung der Zunge): Vitamin B6
- Brüchige Nägel, Hohlnägel (Koilonychie): Eisen
- Mundwinkelrhagaden: Eisen
- Wadenkrämpfe, Verspannungen: Magnesium
- Knochenbrüche ohne ausreichende Ursache: Vitamin D
Quellen
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http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27382272
http://wrobel.geriatrie-drg.de/Forschung_Lehre/Malnutrition_Fehl-Ernaehrung_Mangel-Ernaehrung_PEG_G-DRG_Geriatrie_Altersmedizin.pdf
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26817502
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27029988
http://www.nar.uni-heidelberg.de/md/nar/medien/pdfs/rohrmann_ernaehrung_nar2013.pdf
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26738350
http://www.mattioli1885journals.com/index.php/progressinnutrition/article/view/3783
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http://bmcgeriatr.biomedcentral.com/articles/10.1186/1471-2318-13-13
https://www.researchgate.net/profile/Masoud_Amiri/publication/264238229_World_Kidney_Day_2014_Kidney_disease_and_elderly/links/53d4bb540cf2a7fbb2ea1169.pdf
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http://www.aponet.de/aktuelles/ihr-apotheker-informiert/20140502-zu-viel-vitamin-e-und-selen-erhoehen-krebsrisiko.html