ORAC - ein tatsächlich hilfreicher Wert?

was bedeutet der Messwert ORAC
Was bedeutet Orac? - Bild © freshidea/fotolia.com

In der letzten Zeit hört man immer öfter von einem Messwert mit dem Namen ORAC. Viele gehen sogar so weit, zu behaupten dass man den ORAC Wert am besten gleichzeitig mit den Kalorienangaben auf Lebensmittelverpackungen drucken sollte, um "gesunde Lebensmittel" zu kennzeichnen.

Doch was genau beschreibt dieser Messwert? Und wie stichhaltig ist diese Messung? Und was genau bedeutet dieser Wert für unsere Gesundheit? Antworten auf diese Fragen und eine eingehende Untersuchung darüber was ORAC aussagen kann finden Sie in unserem Beitrag.

Was bedeutet ORAC?

Die Abkürzung ORAC steht für "Oxygen Radical Adsorbance Capacity" - das bedeutet, in einfaches Deutsch übersetzt, das Maß, inwieweit ein untersuchtes Lebensmittel eine antioxidative Wirkung hat.

Antioxidantien sind durchaus wichtige Stoffe für unsere Gesundheit. Sie verhindern, dass Sauerstoffradikale im Körper Schaden anrichten können und sogenannter "oxidativer Stress" entsteht, der den Organismus altern lässt und krank machen kann. Zu den Sauerstoffradikalen zählen (unter anderem) auch die bekannteren "freien Radikale".

Interessant ist für die Wissenschaft nun, in welchem Maß bestimmte Stoffe antioxidativ wirken - um sie untereinander vergleichen zu können. So kann herausgefunden werden,welche Lebensmittel (oder Lebensmittelkombinationen) nun eine stärkere, welche eine schwächere und welche gar keine antioxidative Wirkung haben. Mit dem ORAC Wert lassen sich also Lebensmittel in Bezug auf ihre antioxidativen Fähigkeiten miteinander vergleichen.

Wozu das alles?

Um zu verstehen, wozu man sich in der Wissenschaft die Mühe überhaupt macht, das herauszufinden, müssen wir uns zunächst einmal mit einigen grundlegenden Dingen in Bezug auf oxidative und antioxidative Verbindungen im Körper auseinanderzusetzen.

Reaktive Sauerstoffspezies (ROS)

Das, was so landläufig als "freie Radikale" bekannt ist, ist ein kleiner Teil der reaktiven Sauerstoffspezies. Dabei handelt es sich um alle Sauerstoffradikale (also Sauerstoff-Reste von chemischen Verbindungen) die aufgrund ihrer Vollständigkeit sehr reaktionsfreudig sind. Diese Reaktionsfreudigkeit kann dazu führen, dass sie, wenn im Übermaß vorhanden, Zellbestandteile angreifen und oxidieren können. Zu den Sauerstoffradikalen gehören unter anderem die freien Radikale HO, HOO, ROO und RO aber auch ROOH (Hydroperoxid), O3 (Ozon) oder das OCl (Hypochlorit-Anion).

Das ist allerdings - wie so oft - nur die eine Seite. Die andere ist, dass Sauerstoffradikale nicht ausschließlich "böse" sind, sondern etwas ganz Natürliches. Sauerstoffradikale entstehen völlig natürlich bei der Zellatmung, und haben eine offensichtlich wichtige Funktion im Gehirn: Sie spielen eine offenbar wichtige Rolle, wenn das Gehirn sich anatomisch umbaut, um seine Arbeit zu optimieren, erweitern Gehirngefäße und regulieren damit den Blutfluss im Gehirn. Eine wichtige Funktion bei Zellwachstum und Regeneration scheinen sie außerdem auch zu haben.

Schädlich scheint daher nur ein "Zuviel" an Sauerstoffradikalen sein.

Oxidativer Stress

Ein Zuviel an Sauerstoffradikalen - also mehr, als die Zelle verarbeiten kann - bezeichnet man medizinisch als Stoffwechsellage unter oxidativem Stress. Das Gleichgewicht zwischen oxidierenden und reduzierenden Stoffen ist also gekippt. Zellschäden sind zu erwarten.

Nach derzeitiger wissenschaftlicher Erkenntnis entstehen durch oxidativen Stress Schäden in drei Bereichen:

  • bei den Lipiden (Lipidperoxidation, die unter anderem zu Arteriosklerose führt),
  • bei den Proteinen (Proteinoxidation, die zur Ansammlung nicht mehr funktionsfähiger Proteine und später auch zu Arteriosklerose, Schädigung von neuronalen Strukturen und Diabetes führen kann)
  • zur Schädigung der DNA

Alle Prozesse zusammengenommen fördern den Alterungsprozess massiv und verringern auch deutlich die Lebenserwartung. Je öfter und je länger Zellen dem oxidativen Stress ausgesetzt sind, desto schneller geht das.

Kritische Betrachtung des oxidativen Potenzials

Wichtig ist zunächst einmal, das oxidative und antioxidative Potenzial im Inneren von Zellen als einen Gleichgewichtszustand zu begreifen. Aufgrund der wissenschaftlichen Faktenlage blindlings darauf zu schließen, wir müssten nun nur noch Antioxidantien zu uns nehmen, so viel wir kriegen können, und dadurch würden wir einfach den Alterungsprozess stoppen ist zu einfach gedacht.

Das wäre so wie den ganzen Tag nur noch im Bett zu liegen, um uns tunlichst vor Überlastungen zu schützen. Auch das wäre wohl alles andere als gesund und völlig unsinnig. Wir müssen unseren Körper vor einem Zuviel an oxidativem Stress schützen - aber nicht uns mit Antioxidantien regelrecht zu vergiften und alle oxidativen Prozesse gar nicht mehr erst stattfinden lassen. Immerhin sind diese Prozesse auch notwendig. Es geht, wie gesagt, um das Gleichgewicht, und nicht um Extreme auf irgendeiner Seite.

ORAC Wert in der Praxis

Ermittelt wird der ORAC Wert von Lebensmitteln durch ein chemisches Testverfahren. Man verwendet dafür einen künstlichen Radikalerzeuger in Verbindung mit einem fluoreszierenden Farbstoff. Anhand des Fluoreszierens erkennt man, wie stark die antioxidative Wirkung eines Lebensmittels ist. Die Reaktion wird über rund eine bis eineinhalb Stunden beobachtet und ausgewertet.

Als Referenzstoff dient Trolox (eine Vitamin-E-ähnliche Verbindung) deren antioxidative Kapazität man als bekannten Referenzwert nimmt. Dementsprechend ist die offizielle Einheit des ORAC Werts dann xy µg TE/100 g - also 12 µg Troloxäquivalent pro 100 g. Damit ist der ORAC Wert ein nicht so einfach zu verstehendes, recht theoretisches Konstrukt.

Technische und biologische Werte

Dazu kommt, dass der ORAC Wert ein Laborwert ist. Er sagt nichts darüber aus, wie groß das antioxidative Potenzial eines getesteten Lebensmittel IM KÖRPER ist. Die Versuche finden im Labor statt und beziehen sich auf den Ausgangszustand des Lebensmittels unter Laborbedingungen. Wenn wir ein Lebensmittel essen, wird es allerdings verstoffwechselt und seine Bestandteile werden in unterschiedlicher Menge in die Zellen des Körpers aufgenommen.

Für die Betrachtung auf gesundheitlicher Ebene wäre also zielführender, sich das antioxidative Potenzial von Lebensmitteln anzusehen, NACHDEM die Bestandteile in Körperzellen aufgenommen wurden. Einen solchen Wert gibt es - nämlich den CAA-Wert (cellular antioxidative activity). Er ist naturgemäß deutlich aufwändiger zu ermitteln, aber auch der für gesundheitliche Wirkungen auf jeden Fall aussagekräftigere Wert.

Bedeuten hohe ORAC Werte "gesunde" Lebensmittel?

Nein. Auch wenn das im Marketing teilweise so dargestellt wird. Allenfalls der CAA-Wert wäre eine einigermaßen interessante Größe, da er tatsächlich angibt, was sich tatsächlich für Wirkungen innerhalb des Körpers einstellen.

Problematisch ist das Ganze aber immer noch, weil wir eben kein schwarz-weiß-Gebilde betrachten (antioxidativ=gut, oxidativ=schlecht), sondern ein sehr komplexes Gleichgewicht innerhalb der Zellatmung und des Gehirnstoffwechsels.

Wieder einmal ein "Marketing-Hype"?

Einfach Lebensmittel als "gesund" und "gesundheitsfördernd" zu vermarkten, die einfach ein chemisch hohes antioxidatives Potenzial besitzen, ist keine schlüssige Antwort. Die Welt und vor allem unser Körper sind viel komplexer, als wir sie gerne hätten. Und was bei einem permanenten "Zuviel" an antioxidativen Stoffen passieren würde, kann überhaupt noch niemand sagen.

Das verhält sich so ähnlich wie mit Bakterien - wo wir das auch nicht gerne wahrhaben wollen. Auf uns und in uns leben rund 5 kg Bakterien - und sie sind lebensnotwendig, ohne sie wären wir innerhalb kürzester Zeit tot und unser Körper würde schlicht an allen Stellen aufhören zu funktionieren. Nur ein Zuviel von bestimmten Bakterien an bestimmten Stellen macht uns krank, ein Ungleichgewicht also. Das fällt uns allerdings immer wieder schwer zu begreifen, wir haben lieber eine gepflege, allumfassende Bakterienphobie.

Und auch bei unserer Ernährung geht es vor allem um Gleichgewichtszustände - und nicht um ausschließlich antioxidativ wirkende Nahrungsmittel, oder ausschließlich "basische" Ernährung. Gleichgewichte reagieren immer empfindlich und negativ auf einseitige Extreme - egal von welcher Seite, auch von der, die wir beschlossen haben "gesund" zu nennen. Das müssen wir aber offensichtlich erst lernen, zu verstehen.

Eine verpflichtende Angabe des ORAC Werts neben der Kalorienzahl auf Lebensmittelverpackungen macht daher nicht wirklich Sinn - es handelt sich um einen lediglich technischen Wert mit einem recht komplizierten dahinter stehenden Konzept - das zu verstehen und einzuschätzen man wohl keinem "gewöhnlichen" Konsumenten wirklich zutrauen kann. Zudem sagt gerade der ORAC Wert als rein technischer Laborwert nichts über die Wirkung von Lebensmitteln im Körper aus.

Autor/-in: Mark H.